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Trans*- und Inter*Identitäten in Regenbogenfamilien

Kranhaeuser; (c)regenbogenfamilien-koeln.de

Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe hat im November 2017 eine längst überfällige Entscheidung getroffen: Das Innenministerium muss bis Ende 2018 dafür sorgen, dass in Geburtsurkunden und Personalausweisen als Geschlecht nicht länger nur „männlich“ oder „weiblich“ eingetragen werden kann, sondern "eine weitere positive Bezeichnung eines Geschlechts“.

Seit 2013 gibt es schon die Möglichkeit, den Geschlechts-Eintrag in Geburtsurkunde und Personalausweis ganz wegzulassen, sofern das Geschlecht eines Kindes nicht eindeutig ist. Den Intersexuellen-Verbänden reichte das nicht, denn so blieb eine Leerstelle, als hätten intersexuelle Menschen kein Geschlecht.  Der Forderung nach einer dritten Geschlechts-Bezeichnung wie „inter“ oder „divers“ folgte nun das Bundesverfassungsgericht, nachdem sich ein intersexueller Mensch durch alle Instanzen geklagt hatte.

Die dritte Geschlechtsbezeichung bezieht sich auf der einen Seite auf Menschen, die genetisch weder eindeutig weibliche noch eindeutig männliche Geschlechtsmerkmale zeigen. Menschen also, denen nicht ohne weiteres eines der beiden Geschlechter zugewiesen werden kann. Andererseits zielt das dritte Geschlecht auch auf Menschen, die sich emotional weder weiblich noch männlich fühlen, obwohl sie biologisch klare Geschlechtsmerkmale haben. Dies trifft schätzungsweise auf rund drei Prozent der Bevölkerung zu. Ein Wachstum dieser Gruppe ist zu verzeichnen.

Das Karlsruher Urteil lässt allerdings ein paar wichtige Fragen offen: Für wen gilt die dritte „positive Bezeichnung“ im Personenstandsrecht? Gilt sie nur für körperlich intersexuelle Menschen oder findet sie auch Anwendung auf Menschen, die sich nicht eindeutig als Frau oder als Mann verorten können oder wollen? Wird also das empfundene Geschlecht ausreichen für eine Personenstandsänderung oder muss ein trans*identer Mensch bestimmte, festgelegte körperliche Veränderungen durchlaufen, um in der Geburtsurkunde als „inter“ oder „divers“ bezeichnet werden zu können?

 Und was ist mit intersexuellen Menschen, die ganz bewusst nach Außen als Mann oder Frau leben? Im Karlsruher Urteil vom 8. November 2017 heißt es dazu: „Dass im geltenden Personenstandsrecht keine Möglichkeit besteht, ein drittes Geschlecht positiv eintragen zu lassen, lässt sich nicht mit Belangen Dritter rechtfertigen. Durch die bloße Eröffnung der Möglichkeit eines weiteren Geschlechtseintrags wird niemand gezwungen, sich diesem weiteren Geschlecht zuzuordnen.“ Das Urteil ermöglicht damit eine Wahlfreiheit, ohne jemanden zu etwas zu zwingen.

Für mich unzweifelhaft ist, dass die noch immer üblichen Geschlechtsanpassungen an Kindern in Deutschland endlich per Gesetz verboten werden muss. Denn was haben Inter*Menschen von der Möglichkeit einer "dritten Option", wenn diese von Eltern sowie von Ärztinnen und Ärzten nicht genutzt wird? Nur ein sehr geringer Anteil der intergeschlechtlch geborene Kinder wird ohne Geschlecht eingetragen.  96 Prozent der Kinder, die mit nicht eindeutigen Geschlechstmerkmalen geboren werden, wurden einem Geschlecht zwangsweise zugeordnet. Die meisten von ihnen wurden schmerzhaften Operationen unterzogen. Diese Eingriffe werden im Schattenbericht der Anti-Folter-Kommission 2011 aufgeführt. Die Forderung nach einem gesetzlichen Verbot von Geschlechteroperationen an Kindern muss also ganz oben stehen und bald möglichst umgesetzt werden. 

Was haben Trans*- und Inter*Identitäten mit uns Regenbogenfamilien zu tun?

Eine ganze Menge. Einerseits gibt es Regenbogenfamilien mit trans* Elternteilen. Eltern also, die in Körpern geboren und aufgewachsen sind, in denen sie sich fremd und falsch gefühlt haben. Trans*Männer, Trans*Frauen oder nicht-binäre Menschen, die sich weder dem eine noch dem anderen Geschlecht zugehörig fühlen (wollen) sind Vater, sind Mutter oder übernehmen in anderen Rollen Verantwortung für Kinder. Genauso gibt es Familien, in denen inter*Menschen Eltern sind. Trans* und Inter* Menschen sind Teil unserer Regenbogenfamilien-Community.

Daneben besteht die Möglichkeit, dass Kinder aus Regenbogenfamilien als inter* Kinder, also Kinder mit nicht eindeutigen Geschlechtsmerkmalen, geboren werden. Genauso können Kinder in Regenbogenfamilien eine trans*Identität haben oder entwickeln. Genug Gründe also, sich mit dem Thema Trans* und Inter* zu befassen.

Inter* und Trans*Kinder

In dem EMMA-Artikel "Ich habe ein beides Kind" schildert eine Mutter anschaulich, was es bedeutet, mit einem Inter*Kind zu leben. "Jetzt, wo ich es kenne, schaue ich mein Kind an und kann zur gleichen Zeit einen kleinen Jungen und ein kleines Mädchen sehen. Aber es bleibt eben dabei: Ich denke, jetzt ist sie wieder wie ein Junge, jetzt ist sie wieder wie ein Mädchen. Die Kategorie bleibt bestehen. Sie löst sich nicht auf. Intersexuellsein bleibt ein Dazwischen-Sein, oder ein Weder-Noch-Sein, oder ein Eher-So-Oder-Eher-So-Sein."

Inter*Kinder stellen uns Eltern genauso wie Trans*Kinder/-Jugendliche vor die Herausforderung, unsere eigenen Vorstellungen von männlich und weiblich kritisch zu überprüfen. Darin liegt eine große Chance. Denn: "Vielleicht liegt also in unseren Köpfen das größte Problem. Das Kind ist nicht krank, aber wir können das Kind nicht denken, wenn es keiner der beiden Kategorien eindeutig zugehört."

Geschlecht als soziale Konstruktion - Eine Chance für Regenbogenfamilien

Darin schwingt für mich die nicht unerhebliche, aber auch nicht einfache Frage mit: Wo fängt Junge/Mann sein an?  Wo fängt Mädchen/Frau sein an? Und wo hört es auf? Männlichkeit und Weiblichkeit sind biologische Tatsachen, die man nicht aus der Welt reden kann. Gleichzeitig ist Geschlecht eine soziale Konstruktion. Wie sagte schon Simone de Beauvoir: "Wir werden nicht als Frau geboren, wir werden dazu gemacht." Welche Merkmale wir uns als Gesellschaft aussuchen, um unsere Mitglieder zu kategorisieren, ist nicht gott- oder naturgegeben. Diese Kategorien beruhen auf bewussten Entscheidungen. Wenn man wie ich, geschlechtliche Identität als ein Kontinuum zwischen männlich und weiblich betrachtet, in dessen Verlauf jeder und jede seinen/ihren  Platz darin findet, dann eröffnet sich ein Spielraum, der gefüllt werden kann - von jeder Familie, für jedes Kind.

Und hier sehe ich in Regenbogenfamilien eine große Chance: Denn wo, wenn nicht in unseren Familien, sollten und könnten Kinder so frei wie möglich von einengenden Geschlechterzuweisungen und Geschlechsrollenstereotypen aufwachsen? Wo, wenn nicht in unseren Familien, könnten und sollten Kinder und Jugendliche -  egal ob inter*, trans* oder cisgender - sich frei entwickeln, ohne sich den herrschenden Normen und Vorstellungen zu unterwerfen? Ich finde die LSBTIQ*-Community ist genau der richtige Rahmen, um Kinder und Jugendliche zu stärken, zu unterstützen und ihnen Orientierung zu geben, jenseits patriarchaler und cis-normativer Vorstellungen von "Mann-Sein" und "Frau-Sein" und der darin für selbstverständlich angenommenen Zweigeschlechtlichkeit.

Die USA sind uns hier schon einen großen Schritt voraus. Dort gibt es seit einigen Jahren ein Sommer-Camp für trans* und inter* Kinder und Jugendliche und deren Familien: Das Camp Aranu´tiq of harbour camps. "We build confidence, resilience, and community for transgender & gender-variant youth and their families through camp experiences.", heißt es auf  ihrer Webseite . Und weiter:  "We value holding a space where kids can be kids and many of the worries of everyday life are gone. We are not a therapeutic camp; our camp is purposely “just camp” where our kids can be themselves and enjoy each other and the activities without a requirement of discussing or defending why they are the gender they are."

Ich blicke mit viel Neid auf dieses tolle Angebot in den USA. Ich hoffe auf eine Entwicklung in Deutschland, die ein ähnliches Angebot möglich macht. Dafür braucht es eine breite und offene Diskussion über Trans* und Inter*Identitäten in unserer Gesellschaft, in der LSBTQ*-Community und, nicht zuletzt, auch in der Regenbogenfamilien-Community.

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geschrieben von Birgit Brockerhoff


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