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Abstammungsrecht: Eine never ending story 

Wir warten schon so lange auf das Ende der rechtlichen Ungleichbehandlungen, die queere Eltern und ihre Kinder diskriminieren und zu Familien zweiter Klasse degradieren. Dabei mangelt es nicht an konkreten Vorschlägen, wie das Abstammungsrecht so reformiert werden kann, dass es der modernen Familienvielfalt gerecht wird. Doch von der Ampelregierung in Berlin kommt seit zwei Jahren nichts als schöne Worte im Koalitionsvertrag.

Das Abstammungsrecht ist aus der Zeit gefallen

Mutter, Vater, Kind. So sieht das deutsche Abstammungsrecht Familie und Elternschaft. Im Abstammungsrecht wird geregelt, was unter Elternschaft verstanden wird. Mutter eines Kindes ist immer die Frau, die es geboren hat (§ 1591 BGB). Vater eines Kindes ist entweder der Mann, der zum Zeitpunkt der Geburt mit der Mutter verheiratet ist, der die Vaterschaft anerkannt hat oder der gerichtlich als Vater festgestellt worden ist (§ 1592 BGB).

Im aktuellen Abstammungsrecht spielt es also keine Rolle, ob der zweite Elternteil tatsächlich der Erzeuger ist. Wenn eine Frau und ein Mann verheiratet sind, ist der Mann via Ehe der Vater des Kindes, komplett unabhängig davon, ob der Mann mit dem Kind tatsächlich blutsverwandt ist. Und wenn ein cis-heterosexuelles Päärchen nicht miteinander verheiratet und der Mann auch nicht der Erzeuger ist, kann der Mann die Vaterschaft anerkennen und wird so zum rechtlichen Vater.

Es geht also nicht (nur) um „biologische“ Elternschaft. Das aktuelle Abstammungsrecht gibt moralisch und gesellschaftspolitisch vor, wer Eltern sein DARF - und wer nicht. 

Barrieren bei der queeren Familiengründung

Die Steine, die queeren Paaren bei der Familiengründung in den Weg gelegt werden, sind gewaltig und zahlreich. Bis ein Kind zwei gleichberechtigte Mütter oder Väter hat, können Monate bis Jahre vergehen. Wenn sich mehr als zwei Erwachsene die Fürsorge und Verantwortung für ein Kind teilen wollen, haben sie bisher überhaupt keine rechtlichen Instrumente, sich untereinander abzusichern und allen beteiligten Eltern die gleichen Rechte zu erteilen. Auch für Elternteile, die trans* oder nicht-binär sind, fehlen Vorgaben, die es ihnen ermöglicht rechtliche Eltern zu sein. 

Der lange Kampf um ein zeitgemäßes Abstammungsrecht

Bereits im Jahr 2016 sprach der Deutsche Juristentag die Empfehlung aus, der Gesetzgeber möge das Abstammungsrecht reformieren. Auch der Abschlussbericht des vom Bundesjustizministerium 2015 einberufenen Arbeitskreises Abstammungsrecht, erschienen im Juli 2017, enthielt bereits konkrete Vorschläge für eine Reform. 2020 zogen Gesa Teichert-Akkermann und Verena Akkermann vor Gericht, weil sich letztere nicht als zweiter Elternteil beim Standesamt eintragen durfte.  Im Frühjahr 2021 entschied das Oberlandesgericht Celle: Das Abstammungsrecht ist verfassungswidrig. Zusammen mit der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) entschied die Rechtsanwältin Lucy Chebout im Jahr 2020, die abstammungsrechtliche Diskriminierung der Familie als Grundsatzfrage aufzugleisen und sie im Wege einer strategischen Prozessführung durch die Instanzen zum Bundesverfassungsgericht zu bringen. Lucy Chebout erwirkte mit der Initiative NoDoption seither mehrere weitere Urteile, die zu dem gleichen Ergebnis kamen. Mehrere dieser Urteile liegen seit geraumer Zeit beim Bundesverfassungsgericht. Ein Grundsatzurteil des Bundesverfassungsgerichts gibt es dazu bis heute nicht. 

2021 luden die Grünen im Bundestag dazu ein, interfraktionell an einer Reform des Abstammungsrechts zu arbeiten. Die damals regierende CDU lehnte dies ab. Als dann Ende 2021 die Ampelkoalition ihre Arbeit aufnahm, fanden Regenbogenfamilien den Weg in den Koalitionsvertrag, der unter dem schönen Titel MEHR FORTSCHRITT WAGEN zu Papier gebracht wurde. Was sich die aktuelle Regierung vorgenommen hat, klingt gut, klingt nahezu revolutionär und hat werdenden und bestehenden Regenbogenfamilien viel Hoffnung gemacht. 

Regenbogenfamilien sollen besser abgesichert werden, und sogar vier Elternteile möglich sein. Eine kleine Revolution. Konkret heißt es im Koalitionspapier: 

„Wir werden das Familienrecht modernisieren. Hierzu werden wir das „kleine Sorgerecht“ für soziale Eltern ausweiten und zu einem eigenen Rechtsinstitut weiterentwickeln, das im Einvernehmen mit den rechtlichen Eltern auf bis zu zwei weitere Erwachsene übertragen werden kann.“ (Koalitionsvertrag, Seite 101)

Und weiter heißt es: „Wir wollen Vereinbarungen zu rechtlicher Elternschaft, elterlicher Sorge, Umgangsrecht und Unterhalt schon vor der Empfängnis ermöglichen.“

Zukünftig soll also - so der Plan - in einer Elternschaftsvereinbarung schon vor Zeugung eines Kindes geregelt werden, wer Eltern des Kindes sind. Der biologische Erzeuger erklärt darin, dass er Samen spendet und die Mitmutter oder der zukünftige Vater bestätigt die Elternschaft. Auch außerhalb der Ehe soll die Elternschaftsanerkennung unabhängig vom Geschlecht der anerkennenden Person oder von einem Scheidungsverfahren möglich sein. 

Konkret geht es also auch darum, den Status des zweiten Elternteils nach der Mutter nicht nur Männern vorzubehalten: Wo bisher im Wortlaut des Abstammungsrechts die zweite Elternstelle nur an einen 'Mann' als 'Vater' vergeben wird und die ausgewiesene Stelle derzeit in nicht heterosexuellen Familien leer bleibt -, soll künftig sdie Möglichkeit bestehen, auch Frauen sowie Personen ohne Geschlechtseintrag oder mit dem Eintrag "divers" als Eltern einzutragen.

Der Passus, der Zwei-Mütter-Familien endlich gleichstellen und das leidige Verfahren der Stiefkindadoption überflüssig machen will, lautet so: „Wenn ein Kind in die Ehe zweier Frauen geboren wird, sind automatisch beide rechtliche Mütter des Kindes, sofern nichts anderes vereinbart ist.“ (Koalitionsvertrag, Seite 102)

Das alles liest sich gut. Aber Papier ist bekanntlich geduldig. Die Ampelregierung ist nun seit über zwei Jahren am Steuer und passiert ist - NICHTS.

Woran scheitert die Reform bislang?

Die Initiative zahlreicher Verbände hat Mitte 2023 konkrete Vorschläge vorgelegt, wie es gehen kann. Der Deutsche Juristinnenbund, der Lesben- und Schwulenverband, NoDoption und die Bundesarbeitsgemeinschaft Schwule Juristen haben Leitplanken für eine zügige Reform des Abstammungsrechts erarbeitet. Darin sind sehr konkrete Vorschläge gemacht worden, wie das im Koalitionsvertrag skizzierte Vorhaben umgesetzt werden kann. 

Die Bundesinteressengemeinschaft Regenbogenfamilien-Fachkräfte (BIG) hat ebenfalls konkrete Vorschläge formuliert, wie das Abstammungsrecht verändert werden sollte und, wie Anpassungen der rechtlichen Eltern-Kind-Zuordnung konkret aussehen könnten. 

Auch international gibt es Vorbilder, an denen sich orientiert werden kann: In den USA wie in weiten Teilen Westeuropas – etwa Spanien, Frankreich, den skandinavischen Ländern – sind Regenbogenfamilien abgesichert. Mehrelternschaften sind in Teilen Kanadas und in Kalifornien rechtlich anerkannt.

An guten Beispielen und konkreten Vorschlägen mangelt es also nicht. Wo also hakt es? Zuständig für die Umsetzung der Reform ist das von der FDP geführte Bundesjustizministerium. Und genau dort scheint man(n) es nicht so eilig zu haben mit konkreten Schritten. Sicher, die Regierung hat aktuell viele Baustellen, arbeiten „nach Plan“ gestaltet sich schwierig. Energiekrise, Haushaltsloch, Krieg in der Ukraine und in Nahost verzögern so manches im Koalitionsvertrag skizzierte Vorhaben. Auch das so genannte Selbstbestimmungsgesetz hält die Koalitionspartner beschäftigt. 

Es stellt sich also die Frage: Fehlt es am (politischen) Willen oder am (Wo)man-Power? Dass das aktuelle  Abstammungsrecht aus der Zeit gefallen ist, ist unstrittig. Unstrittig ist auch, dass viele queere Eltern und ihre Kinder unter der aktuellen Gesetzeslage leiden. Kinder, die in 2022 und 2023 in eine Regenbogenfamilie hinein geboren wurden, haben ganz konkrete Nachteile, weil die Bundesregierung es nicht schafft, ihr Vorhaben umzusetzen. Das Freibleiben der zweiten Elternstelle dient nicht dem Kindeswohl. Queere Eltern, unabhängig davon, in welcher Konstellation sie Eltern werden, haben ein Recht auf gleichberechtigte Elternschaft. 

Auch Kinder von queeren Eltern, die 2024 das Licht der Welt erblicken, werden in eine sie ungleich behandelnde Situation geboren.  Die Zeit rennt diesen (werdenden) Familien davon. Sie hoffen und warten schon so lange. Es ist an der Zeit, dass 2024 diese never ending Story ein (gutes!) Ende findet.


geschrieben von Birgit Brockerhoff

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Kommentare: 1
  • #1

    Julie (Montag, 18 Dezember 2023 23:21)

    Danke für diesen Text!

    Ja, es ist so überfällig! Was mich zudem noch aufregt, ist, dass gefühlt alle Behörden die aktuelle Situation so auslegen, wie sie ihnen passt. "Ach, Sie sind verheiratet? Na dann sind Sie ja nicht allein erziehend!" Praktisch. Schlechtere Steuerklasse, kein Wohngeld, keine Partnerschaftsbonusmonate. Bäm, Geld gespart.
    "Sozialpunkte in der Kita? Nein, das geht nur, wenn Sie alleine wohnen. Und tragen Sie doch bitte hier den zweiten Elternteil ein." "Es gibt ja keinen", sagte ich. "Wird nicht anerkannt." "Na das ist ja unerheblich", kommt es dann zurück - "das wird doch ganz anders gelebt. Ihre Frau darf auch gerne zum Vater-Kind-Tag kommen, wir sind da offen."

    Unser Kind wurde und wird von zwei Eltern gezeugt, geboren und großgezogen. Auf dem Papier stehe nach wie vor ich alleine. "Ist doch kein Problem" sagen meine Freund*innen. "Deine Frau kann das Kind doch einfach adoptieren". Doch ist das so einfach? Mal eben ein Lebensbericht? Ein Offenlegen der Lebenssituation? Ein Hausbesuch? ... ich finde nicht ...