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Mit feministischem Mama-Blick in der Playstation

Bei den Medienzeiten und -inhalten der Kinder bin ich mit Corona inkonsequenter geworden. Doch im digitalen Dschungel lauern nicht nur Gefahren, sondern offenbaren sich überraschende Lichtungen. Zum Beispiel mit Oma und Opa.

Alle Jahre wieder. So wird es dieses Jahr nicht klingen und klingeln. 2020 ist kein Jahr wie jedes andere. Und es wird auch kein Weihnachten wie jedes andere. Dennoch wird es auch in diesem Jahr Geschenke für die Kids unterm Weihnachtsbaum geben. Was sich meine Kinder wünschen, ist auch schon jetzt klar: irgendwas mit Medien. Wobei „irgendwas“… die Wünsche meiner Kids sind konkret. Der 14-jährige Sohn träumt von der neuen PlayStation, die 12-jährige Tochter will eine X-Box (weil der große Bruder ja schließlich auch schon eine Konsole hat). 

Dass am Ende dieses Corona-Jahres mit all seinen Bleib-Zuhause, Triff-dich-nicht-mit-deinen-Freund*innen und den langen Monaten des Homeschoolings auf dem Wunschzettel meiner Kinder das Thema digitale Medien groß und breit steht, ist nur logisch und konsequent. Kontaktbeschränkungen, #stayathome und Lockdown light bis hart, haben aus meinen Kindern digitale Medienjunkies gemacht. Wo ich vor Corona einen scharfen Blick auf die Medienzeiten meiner Kinder hatte, bin ich mit Corona lockerer und inkonsequenter geworden. Finde ich das gut? Nein! Kann ich es vertreten und akzeptieren? Ja!  

Unterwegs in Fortnite

Wichtiger als die Gram über das Mehr an Zeit, die meine Kinder an digitalen Geräten verbringen, ist mir mein Interesse an dem, was sie schauen und spielen. Mein Sohn liebt Fortnite. Seit Monaten spielt er nichts anderes. Letztes Jahr war es noch Minecraft. Die ersten Runden Fortnite haben wir Anfang des Jahres zusammen gespielt, er und ich. Ich war neugierig, das Spiel kennenzulernen. Ich bin schnell wieder ausgestiegen, aber immerhin habe ich nun eine Vorstellung von dem Setting und den Abläufen. Inzwischen höre ich meinem Sohn häufig interessiert zu, wenn er spielt mit seinem Headset, mit seinen Freunden redend über ihre gemeinsamen Strategien, über ihre Erfolge und Misserfolge auf ihren Missionen. Erstaunlicherweise lässt er gerne die Tür zu seinem Zimmer auf, so dass ich – in meinem Homeoffice-Arbeitszimmer nebenan sitzend – ihn hören kann, ob ich will oder nicht. Immer mal wieder schaue ich ihm mit Interesse über die Schulter und rede mit ihm darüber, was er im Spiel macht und mit wem. Er spielt ausschließlich im Team mit seinen Freunden. In einer Zeit, in der die Corona-Schutzmaßnahmen seine realen Kontakte stark einschränken, bin ich froh, dass er seine Freunde zumindest online regelmäßig trifft und spricht.  

Von TikTok bis ROBLOX und wieder zurück zu TikToK

Meine 12-jährige Tochter liebt TikTok. Worin liegt für sie die Faszination dieser App? Aha, es gibt viele coole YouTuber*innen, die hier unterhaltsame Clips posten. Und das Wichtigste: Ihre Freundinnen und Freunde aus ihrer Klasse sind auch alle bei TikTok, sie teilen und kommentieren kurze animierte Clips. Heißt das bei TikTok so: Clips? Ich weiß es nicht. Das muss ich bei nächster Gelegenheit mal meine Tochter fragen. Ebenfalls hoch im Kurs bei ihr steht ROBLOX. Das kenne ich! Vergangenes Jahr haben mein Sohn, meine Tochter und ich das parallel auf drei Geräten miteinander gespielt, mal in derselben Welt, mal in unterschiedlichen Spielen. Ich war fasziniert von den vielen Kindern, die sich dort trafen und sich in den unterschiedlichen Spielewelten bewegten. Inzwischen spielt meine 12-Jährige ROBLOX mit ihren Freundinnen. Erstaunt nehme ich zur Kenntnis, wie selbstverständlich meine Tochter selbst aufgenommene Clips aus ROBLOX auf TikTok teilt.  

Grundlagen schaffen für zukünftige Online-Aktivitäten meiner Kinder

Jaaa, ich weiß, so richtig Jugendschutz-konform ist das nicht. Die Medienpädagogin in mir ruft: TikTok ist erst ab 13 Jahren zugelassenROBLOX öffnet Tür und Tor für Kontakt-Anbahnungen fremder Personen und Fortnite ist voller Kampfhandlungen. Es stimmt, es gibt reale Gefahren sowohl bei TikTok, wie auch bei ROBLOX und bei Fortnite. Aber wichtiger als mit einem großen Verbotsschild vor meine Kindern herumzufuchteln, ist mir, mit den beiden ins Gespräch zu kommen über diese Gefahren. Sie sind nicht mehr in dem Alter, in dem Kinderwebseiten, wie sie beispielsweise bei Seitenstark zu finden sind, für sie spannend sind. Ich spreche mit ihnen über Datenschutz und Anonymität im Netz, mit wem "befreunde" ich mich, wem folge ich und warum, wem erlaube ich mir zu folgen, welche Informationen gebe ich preis über mich, welche Art von Clips poste ich und welche nicht. Das ist genau die Art von grundlegend wichtigen Infos, die meine Kids brauchen, um ihre Schritte im Internet zu gehen, zur Zeit noch mehr oder weniger offen und mit mir, schon sehr bald auch komplett ohne mich. Was ich will, ist ihnen ein Bewusstsein mit auf ihren Weg zu geben, damit sie in ihrem weiteren Onlineleben sensibilisiert sein werden für all die Fallen, die das Netz uns allen stellt. Ich verzichte auf den begleitenden Modus, der neuerdings von TikTok angeboten wird. Warum? 1. möchte ich mich nicht selbst bei TikTok registrieren (eine Voraussetzung für den begleitenden Modus) und 2. suche ich lieber das persönliche Gespräch mit meiner Tochter, statt auf technische Kontrolle zu setzen.  

 

Blick zurück: Computerspiele in meiner Biographie

Wahrscheinlich bin ich auch deshalb so offen für die Spielwelten meiner Kids, weil ich selbst immer schon gern online gespielt habe. Ich erinnere mich an eine kurze aber heftige Leidenschaft für die Lemminge. Statt an meiner Diplomarbeit zu schreiben habe ich vor über 25 Jahren exzessiv kleine Wesen vor dem Fall in den Abgrund gerettet. Ende der 90er Jahre spielte ich eine Zeitlang begeistert Myst. Zusammen mit einer Freundin rätselte ich mich bei Yogi-Tee und Unmengen an Knabbereien durch mystische Insel-Welten.

Mein feministischer Blick auf das Online-Verhalten meiner Kids

Neben der Medienpädagogin leben in mir auch die Regenbogenfamilien-Mama und die Feministin. Auch diese beide schauen auf die Online-Aktivitäten meiner Kids mit einem wachen bis wachsamen Auge. Die Feministin in mir denkt: "Verdammt geschlechtsrollenkonform, das Mädchen begeistert sich für die Kommunikation-App TikTok, während der Junge Meister im Strategie-Baller-Spiel Fortnite ist." Aber soo schablonenhaft sieht mein Mutterblick das dann doch wieder nicht. Mein Sohn spielt die meiste Zeit mit einem weiblichen Avatar, einer gut ausgestatteten Kriegerin. Anscheinend hat mein 14-Jähriger überhaupt kein Problem damit, als Frau in die Fortnite-Schlacht zu ziehen. Da jubelt mein feministisches Regenbogenfamilien-Mama-Herz: Doch nicht alles falsch gemacht!  

Und meine Tochter? Die liebt es, ihren ROBLOX-Avatar auszustaffieren, mal im Halloween-Outfit, mal punkig-bunt. Hauptsache sie sieht cool aus, wie eine Mischung aus Billie Eilish und der Siegesgöttin Nike - ganz wie meine Tochter sich selbst sieht. 

Mein feministischer Mama-Blick hat es aber auch nicht leicht im Dschungel der digitalen Spiele-Welt: Wo sind sie, die Online-Games mit starken Frauenfiguren, feministischen Handlungssträngen oder gar mit queeren, schwulen oder lesbischen Protagonist*innen? Doch ist das die Art von Unterhaltungen, die meine Kinder wollen? Nein, die Beiden spielen und schauen lieber das, was ihre Freund*innen schauen und spielen. So ist das im digitalen Teenage-Universum. Es ist ihre Welt, die auch deshalb interessant ist, weil sie mir in wesentlichen Teilen verborgen ist. Und diese Abgrenzung ist auch gut so. Auch wenn das mein Mama-Herz immer wieder besorgt macht. 

Wir zoomen uns zusammen

Gleichzeitig bin ich voller Ehrfurcht davor, wie souverän meine Kids inzwischen Videokonferenzen via Zoom meistern. Im ersten Lockdown im Frühjahr zwangsweise im Zuge des Homeschoolings eingeführt, machen meine Kids inzwischen ihre eigenen Online-Meetings mit ihren Freund*innen. Und jeden Sonntag um 18 Uhr machen wir unser Familien-Zoom-Meeting mit Oma und Opa im Ruhrgebiet und meiner Schwester in Süddeutschland. Das ist ein neues und inzwischen lieb gewonnenes Ritual im Corona-Winter 2020. 

X-Mas 2020

Und was wird nun tatsächlich unter dem Weihnachtsbaum liegen? Aus der neuen PlayStation wird nichts, die PS 5 ist momentan auf dem deutschen Markt für Normalsterbliche nicht erhältlich. Es wird ein Gaming-Monitor für meinen Sohn (dann kann ich meinen eigenen Monitor wieder selbst im Homeoffice nutzen). Und meine Tochter hat neuerdings eine Leidenschaft für das Fotografieren entwickelt und wünscht sich eine Kamera. Die bekommt sie. Gerne! Da freut sich mein Fotografinnen-Herz. Und vielleicht wird sie sich ja bald beim Knipsclub, der Foto-Community für Kinder anmelden...

geschrieben von Birgit Brockerhoff


 

 

 

Update am 20. Januar 2021

Wir freuen uns riesig über den 2. Platz bei der Blogparade. 

 

Danke an alle Unterstützer*innen !!!

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Kommentare: 1
  • #1

    Antje (Montag, 04 Januar 2021 18:13)

    Interessante Betrachtungsweise und schön, das positive rauszustellen. Prinzipiell ist der Kontakt über das, was getan wird, wohl das Wesentlichste bei der Sache. Und das lese ich auch in allem raus.
    Also: Interesse an den Interessen der Kids - das hilft uns, mit allem umzugehen.
    Danke und ein Daumen hoch von mir.

    LG
    Antje