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Plötzlich Mutter einer 9-Jährigen

miniaturfiguren; (c)regenbogenfamilienköln

Nicht immer werden Regenbogenfamilien von Anfang an als Regenbogenfamilien gegründet. Es gibt Familien, die erst mit den Jahren zu einer Regenbogenfamilie werden. Genau so eine Geschichte möchte ich erzählen. Es ist meine Geschichte und sie handelt davon, wie ich unverhofft Mutter einer 9-jährigen Tochter wurde.

Es war das Jahr 2001. Ich lernte eine Frau kennen, verliebte mich in sie und wir kamen zusammen.  Sie hatte zwei Töchter aus einer heterosexuellen Beziehung. Zu dem Zeitpunkt lebte sie schon einige Jahre in Frauenbeziehungen, für ihre Töchter war eine Frau an der Seite ihrer Mutter also nichts Besonderes. In der ersten Zeit, es waren Sommerferien und die Kinder beim Vater, lebten wir unseren Honeymoon, unbeschwert und glücklich. 

Dass meine Freundin zwei Kinder hat, habe ich erstmal nicht wirklich wahrgenommen. Die ältere Tochter lebte beim Vater, die Jüngere, damals neun Jahre, lebte mit meiner Freundin in der Eifel. Beide hatten ein sehr inniges Verhältnis, was sich bis heute nicht geändert hat. Tja, und da war dann noch ich. Meine Freundin liebend war mir klar, ohne Kind gibt's die Mutter nicht. 

Meine Freundin hatte zunächst den Anspruch: Ich bin Mutter und ich lebe Beziehung. Beides sollte voneinander getrennt werden. Das funktionierte genau sechs Wochen, die Zeit der Sommerferien. Ich lernte ihre Tochter nach den Ferien kennen. Nach einigen Minuten hüpfte das Mädchen auf meinen Schoß, um mir Matheaufgaben zu stellen. Das Eis war gebrochen. Sie fand mich witzig und spannend.  Da sich ihre Mutter ihr gegenüber nicht anders verhielt als sonst, war ich akzeptiert. 

Schnell zogen wir alle drei zusammen und plötzlich war ich, ja was war ich? Freundin, „Mutter“, Geliebte, Teil der Familie …? Plötzlich war ich in der Situation mit einer wissbegierigen 9-Jährigen umzugehen, die ganz selbstverständlich davon ausging, dass ich auch ihre Versorgung übernehme, mit ihr spiele, sie von A nach B fahre und an ihrem Bett sitze, wenn sie krank ist.

Durch die berufliche Situation meiner Freundin, die häufig früh morgens oder spät abends arbeiten musste, war ich es,  die morgens um sechs Uhr das Kind für die Schule fertig machte. Ich übernahm Erziehungsaufgaben, ging zu Schulveranstaltungen, begleitete die beiden zum Jugendamt, wenn der Kindsvater Stress machte und unsere Urlaube verbrachten wir selbstverständlich wie jede andere Familie auch, zusammen. 

Von meinem Kölner Leben war nicht mehr viel zu spüren. Mit Kind war mein Leben plötzlich ein völlig anderes.  Ich beobachtete bei mir, dass ich eine große Verantwortung trage, mich auf ein Kind einzulassen, was ich nicht geboren habe und, welches auch nicht in unsere Beziehung, als gemeinsamer Entschluss, hineingeboren wurde. 

Bindung aufzubauen, eine verlässliche Größe im Leben des Kindes zu sein und auch zu bleiben war nicht immer einfach. Wenn meine Co-Tochter und ich Konflikte hatten, und die kamen häufig vor, da dieses selbstbewusste Ding mich gelegentlich  an meine Grenzen brachte, hörte ich nie von ihr: Du hast mir nichts zu sagen, du bist nicht meine Mutter. 

Doch ich kämpfte auch mit widersprüchlichen Gefühlen. Das Beziehungsleben, wie ich es mir vorstellte, war abhängig davon, ob es meiner Co-Tochter gut ging, ob sie da war oder beim Vater. Konflikte mit meiner Partnerin waren vorprogrammiert.  Enttäuschungen, wenn die „Paarzeit“ mal wieder zurückgestellt wurde, weil das Kind vorging. Manchmal störte das Kind einfach. Mir auch diese Gefühle einzugestehen, das war ein Prozess. 

Wir lebten acht Jahre als Familie zusammen. Dinge, die der Mutter schwerfielen und mir leichter, übernahm ich selbstverständlich. Als ein Auslandsjahr für die Tochter anstand, habe ich dieses mit meiner Co-Tochter vorbereitet. Meine Freundin, der die Organisation dieses Auslandsjahres emotional schwerfiel, haben meine Tochter und ich die unterschiedlichen Schulen, die besucht werden könnten, so vorgestellt, dass die Unsicherheiten meiner Freundin beseitigt werden und die Tochter dann in England zur Schule gehen konnte. 

Nach acht Jahren kam es zur Trennung. Für mich ein totaler Bruch. Plötzlich war das Familienleben weg, ich hatte keine Aufgaben mehr, die Abiturfeier fand ohne mich statt und mein Kalender war ohne Termine. Eine schwere Zeit, die sehr viel Kraft gekostet hat. Auch der Kontakt zu meiner Co-Tochter war für mich schwer aushaltbar, ich zog mich sehr zurück. Aber ich hatte die Rechnung ohne sie gemacht: Sie war inzwischen 18 und sah überhaupt nicht ein, dass ich aus ihrem Leben verschwinde. Auch für sie war die Trennung schwer und sie brauchte mich. Letztlich sind wir gut durch diese Zeit gekommen. 

Heute ist sie 28, promoviert, eine junge unabhängige Frau. Sie  gehört zu meinem Leben. Letztens besuchte ich sie in Berlin. Sie stellte mich ihren Freunden vor: „Das ist meine zweite Mutter.“ Ein Satz, der mich glücklich und stolz machte.

Häufig fehlt mir in Gesprächen über Regenbogenfamilien die Perspektive sozialer Mutterschaft. Für die Zukunft wünsche ich mir eine stärkere Thematisierung der Mütter, die in eine bereits bestehende Familie hineinkommen, die Verantwortung für die Kinder übernehmen, auch wenn sie gesetzlich keine Ansprüche und Rechte haben.

geschrieben von Theresia


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Kommentare: 1
  • #1

    Jenny (Mittwoch, 17 Oktober 2018 09:53)

    Danke für diesen Text. Ich finde mich darin sehr wider, meine Geschichte ist ähnlich wie diese. Der Bruch nach Trennung ist schwer. Weil es eine dreifache Trennung ist: von der Beziehung, vom Kind und von der Familie. Auch ich habe lange gebraucht dies zu verkraften. Leider habe ich dadurch den Kontakt zum Sohn meiner Freundin verloren. Ein Schmerz, der noch immer in meinem Herzen sitzt. Schön, dass es bei euch anders gelaufen ist.